Medienmitteilung des VöV: ÖV-Branche unterwegs in die Zukunft

Digitalisierung, automatisierte Verkehrssysteme und veränderte Kundenbedürfnisse – die Welt der Mobilität ist in Bewegung. Für die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs ist dies Chance und Herausforderung zugleich. An einer Tagung in Olten traf sich die Branche zusammen mit Wissenschaft und Politik erstmals zu einer gemeinsamen Standortbestimmung. Fazit: Es gibt viel Potenzial für die Unternehmen, die zukünftige Mobilitätswelt für Kundinnen und Kunden einfacher und effizienter zu gestalten. Um namentlich bei Kundenthemen rascher voranzukommen, muss die Zusammenarbeit innerhalb der Branche und mit den Partnern gestärkt werden. 

Bereits heute wollen die Nutzerinnen und Nutzer des ÖV unterwegs arbeiten, sich informieren und in sozialen Netzwerken aktiv sein. Sie wollen pünktliche Verbindungen und effiziente Wege von A nach B. Anders als heute werden sie dabei künftig nicht mehr zwingend auf den öV angewiesen sein. Vielmehr werden sie unterschiedliche Verkehrsträger –, öV, Sharing-Fahrzeuge selbstfahrende Autos – miteinander kombinieren.

Die Richtung stimmt

Für die Unternehmen des öffentlichen Verkehrs ist diese Entwicklung Herausforderung und Chance zugleich. Anlässlich eines zweitägigen Kongresses in Olten, organisiert durch den Verband öffentlicher Verkehr (VöV), SBB, BLS und SOB, hat sich die Branche zum ersten Mal versammelt, um eine gemeinsame Standortbestimmung vorzunehmen. Im Zentrum stand dabei die Frage, ob die ÖV-Branche ausreichend vorbereitet ist, um dem technologischen und gesellschaftlichen Wandel zu begegnen. Im Dialog und in Panels mit Personen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Politik wurden darauf Antworten gesucht. 

Fazit: Die eingeschlagene Richtung stimmt. So arbeiten die einzelnen Unternehmen intensiv an der Bahn von morgen. Zulegen will die Branche aber beim Tempo und bei der übergreifenden Zusammenarbeit – auch über den öffentlichen Verkehr hinaus. Die Vertreter von VöV, SBB, BLS und SOB zeigten sich überzeugt, dass nur in einem engen Zusammenspiel mit der Branche sowie weiteren Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik das System „öV 4.0.“ weiterentwickelt und so bestmögliche Mobilitätsangebote für die Kundinnen und Kunden entstehen können. Erste Ansätze dazu – etwa bei der Vereinfachung des Tarifsystems oder bei Initiativen für die Steigerung der Auslastung in den Zügen – sind bereits vorhanden.

Die Herausforderungen bleiben

Einig war man sich aber auch, dass es noch weiterer Anstrengungen bedarf. So steht der öffentliche Verkehr im zunehmenden Wettbewerb mit anderen Mobilitätsanbietern und muss seine Kosten stark senken. Zugleich nimmt die Mobilitätsnachfrage weiter zu; alleine in den Zentren wird mit 50 Prozent mehr ÖV-Nutzerinnen und Nutzern gerechnet. Ausbauten, insbesondere wenn sie auf die Pendler-Spitzen ausgerichtet sind, lassen sich kaum mehr finanzieren. Es braucht somit nachhaltige Finanzierungskonzepte und neue Geschäftsmodelle, um den Kundinnen und Kunden auch in Zukunft ein attraktives Preis- Leistungsverhältnis bieten zu können. Der Verband VöV will die Erkenntnisse der Tagung nun nutzen, um das Thema innerhalb der Branche weiter zu vertiefen.

 

Studie FehrAdvice & Partners AG an Branchentagung in Olten vorgestellt:

«Gemeinsame Hebel und Wege zur Optimierung der Auslastung im öV»

Pendeln zur Hauptverkehrszeit ist teuer. Die Verkehrsinfrastruktur der Schweiz wird aktuell auf die Nachfragespitzen von Morgen und Abend dimensioniert. Entsprechend hohe Kosten sind die Folge. So schätzt eine Ecoplan-Studie die Kosteneinsparpotentiale bei besserer Auslastung des öffentlichen Verkehrs auf eine Grössenordnung von rund 140 Millionen CHF pro Jahr. Rund 60 Prozent der Pendlerinnen und Pendler könnten jedoch flexibler pendeln als sie es aktuell tun. Eine aktuelle Studie von FehrAdvice liefert jetzt zusätzliche Erkenntnisse aus Sicht der Verhaltens-Ökonomie.

Die Verkehrsinfrastruktur in der Schweiz ist gut ausgebaut, in der Hauptverkehrszeit sind Strassen und Schienen aber überlastet. Einer der Hauptgründe dafür ist die Pendlermobilität. Im Jahr 2013 pendelten in der Schweiz neun von zehn Erwerbstätigen morgens zur Arbeit und abends wieder nach Hause. Das sind insgesamt gut 3,8 Millionen Menschen. Zusammen mit weiteren 800.000 Ausbildungspendlerinnen und Ausbildungspendlern beläuft sich die Zahl bereits auf rund 4,6 Millionen. Das Volumen der Pendlerströme zwischen den zehn grössten Schweizer Städten nimmt weiter zu. Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Erschwerend kommt dazu, dass sich das Verkehrswachstum mehrheitlich auf die die Morgen- und Abendspitzen konzentriert. So transportiert z.B. die SBB in 25 Prozent der Betriebszeit die Hälfte ihrer Kundschaft. Ausserhalb der Spitzenzeiten ist die Auslastung der Züge jedoch ungenügend. Diese Tatsache führt dazu, dass die durchschnittliche Auslastung über den Tag gesehen bei nur rund 30 Prozent liegt. Eine aktuelle Studie, die von SBB, VöV und den kantonalen Verkehrsdirektoren in Auftrag gegeben wurde, ermöglicht neue Sichtweisen auf das Pendlerverhalten aus verhaltensökonomischer Sicht. Es zeigt sich, dass insbesondere soziale Normen am Arbeitsplatz, durch Vorgesetzte und Kollegen ein starker Treiber der Spitzennachfrage sind. Zudem werden bestehende Verhaltensmuster beim Pendeln wenig bis gar nicht hinterfragt – man fährt weiter zu Spitzenzeiten. Als ein in diesem Zusammenhang häufig erwähnter Lösungsansatz zur Steuerung der Verkehrsströme wird «Mobility Pricing» diskutiert, bei dem die Nutzung von Verkehrsmitteln zu unterschiedlichen Tageszeiten und unterschiedlichen Strecken, je nach Nachfrage, bepreist wird. Mobility Pricing setzt üblicherweise auf Sanktionierung und rein finanzielle Anreize. Im Rahmen der Studie wurden Alternativen zum Sanktionierungsansatz untersucht. Ziel der Studie war es herauszufinden, wie viele Menschen prinzipiell flexibler pendeln könnten, was die Gründe sind, warum sie dennoch zu Hauptverkehrszeiten fahren obwohl das Platzangebot geringer ist und wie man die richtigen Anreize setzten kann, um eine gleichmässigere Auslastung im Tagesverlauf zu erreichen.

Die Ergebnisse der Studie wurden im Rahmen der VöV Branchekonferenz am 3. März 2016 vorgestellt.

Key Quotes:

Michel Joye, Präsident Verband öffentlicher Verkehr: «Die Digitalisierung und neue Mobilitätsformen schaffen auch neue Kundenbedürfnisse. Wenn wir diese Trends früh erkennen und entsprechende Lösungen aufzeigen, ist dies ein grosse Chance für den öV.»

Ueli Stückelberger, Direktor Verband öffentlicher Verkehr: «Die Erwartungen der Kundinnen und Kunden fordern die ÖV-Branche heraus. Gemeinsame Projekte wie die Vereinheitlichung der Tariflandschaft sind Antworten darauf.»

Andreas Meyer, CEO SBB: «Wegen neuer Technologien und dem Trend zur Digitalisierung wandeln sich Kundenbedürfnisse, Mobilitätsverhalten und Lebensstile grundlegend. Der intermodale Wettbewerb verstärkt sich. Das bedeutet für die SBB, sich im Betrieb und bei Ausbauten auf die Stärken der Eisenbahn zu fokussieren und für die Kunden einfacher zu werden.»

Bernard Guillelmon, CEO BLS: «Die Digitalisierung verändert Mobilitätsangebote und ihre Produktionsformen. Um die damit verbundenen Chancen zu nutzen, bedarf es neuer Formen der Zusammenarbeit in- und ausserhalb der Branche.»

Thomas Küchler, Vorsitzender der GL Südostbahn: «Die mit der Digitalisierung einhergehende Veränderung der Mobilität und das dadurch sich verändernde Mobilitätsverhalten unserer Kundinnen und Kunden wird die mittleren und insbesondere kleineren Transportunternehmen vor grosse strategische Herausforderungen stellen, welche nur noch gemeinsam zu bewältigen sind.»